Fulminant eröffnet der Gastgeber Emcee des Kit Kat Clubs einen Abend voller Glitzer, Federboas und Zügellosigkeit im Berlin der späten 1920er Jahre. Es ist der Silvesterabend und Weltwirtschaftskrise und politische Unruhen scheinen an diesem schlüpfrigen Abend ganz weit weg. Cliff Bradshaw, ein junger, mittelloser Schriftsteller aus den USA, reist an diesem Tag mit dem Zug das erste Mal nach Berlin, um dort endlich Inspiration für seinen zweiten Roman zu finden, landet aber stattdessen schnell in den Armen der Engländerin Sally, ein Feuerwerkskörper von einer Frau, die mit der klassischen Schulmädchennummer im Kit Kat Club ihr Geld verdient:
„Mama glaubt, dass ich im Internat bin. Mama hat ja keinen blassen Schimmer, dass ich hier im Cabaret bin. […] Mama glaubt ich bin der Schule und denkt eine Lehrkraft ist die ganze Zeit in meiner Nähe.“
Der Übergang vom Theaterbesuch an einem kalten Herbstabend im Oldenburger Staatstheater hin zu dem schummrigen, plüschig roten Licht des Kit Kat Clubs gelingt fließend: Beim Einnehmen der Plätze singt der Concierge des Clubs bereits am Klavier, die vorderen Plätze schmiegen sich an kleinen Bistrotischen um die Vorderbühne, die in den Zuschauerraum hineinragt. Glitzernde Kostüme und glamouröse Kulissen lenken alle Blicke auf sich und verkörpern Berlin als sorgenfreien Schmelztiegel der Kulturen – zwischen Freigeistigkeit, Fantasie und Lebenshunger lässt sich in der Metropole kaum eine Spur von potentiell gefährlichen politischen Umbrüchen erahnen.
Mit der Hilfe seines neuen Bekannten aus dem Zug, Ernst Ludwig, findet Cliff ein Zimmer in der Pension von Fräulein Schneider – seine Nachbarin hat stündlich wechselnden Besuch von ihrem „Steuerberater“, ihrem „Physiotherapeuten“ und weiteren respektablen Herren und trocknet ihre voluminösen BHs auf dem Balkon, sehr zum Ärger Frau Schneiders – in das bald auch Sally einzieht. Frau Schneiders Strenge mildert sich nur, wenn der jüdische Obstverkäufer Herr Schultz vorbeikommt, um ihr den Hof zu machen…mit Äpfeln, Birnen und irgendwann einer Ananas. Diese Geste, ein Anhalten um ihre Hand ist dann kaum noch nötig, macht „aus dem Erdgeschoss ein Märchenschloss“ und „das Grau in Grau wird auf einmal blau“.
Bei der Verlobungsfeier kommen alle zusammen: die Tänzer:innen aus dem Kit Kat, Cliff und Sally, Ernst und seine dubiosen Freunde. Doch als sie erfahren, wer hier Frau Schneider heiraten will – ein jüdischer Geschäftsmann – kippt die Stimmung merklich und das Oldenburger Publikum wird auf manisch-beängstigende Weise, inklusive Gänsehaut und Sprachlosigkeit, durch Ernst Ludwig und seine Gefolgschaft daran erinnert, dass, wie Fräulein Schneider es später nennt, „diese neuen Rechten plötzlich unsere Nachbarn und Freunde sind.“ Und zack! hat uns das Musical-Ensemble des Staatstheaters vor Augen geführt, wie wir uns einlullen lassen, von Glitzer, Sex und seichten Nummern, die uns die Realität vergessen lassen bis es zu spät ist! Fräulein Schneider entscheidet sich gegen die Heirat, Sally entschließt sich zu einer Abtreibung von Cliffs Baby, weil sie nicht mit ihm nach Amerika fliehen will, obwohl er der einzige ist, der erkennt:
„Wenn du nicht dagegen bist, dann bist du dafür.“
Dieser Satz hallt in unseren Köpfen nach, als wir zurück in den Bus über Elsfleth nach Brake steigen.
„Cabaret“ rekonstruiert und mahnt auch vor der heutigen Realität: In einer Welt geprägt von grellen Lichtern und farbenfrohem Trubel als Einladung, sich blenden zu lassen oder die Augen vor der Brutalität und Tragweite des sozialen und politischen Wandels zu verschließen, gilt es besonders wachsam zu bleiben und sich nicht in Eskapismus und Ignoranz zu verlieren. Denn am Ende bröckelt die noch so perfekt wirkende Fassade des Kit Kat Clubs, unter der nur noch ein beklemmender Schauplatz des Rechtsextremismus übrig bleibt.
Artikelnachweis: Frau Schönberger & Amela
Fulminant eröffnet der Gastgeber Emcee des Kit Kat Clubs einen Abend voller Glitzer, Federboas und Zügellosigkeit im Berlin der späten 1920er Jahre. Es ist der Silvesterabend und Weltwirtschaftskrise und politische Unruhen scheinen an diesem schlüpfrigen Abend ganz weit weg. Cliff Bradshaw, ein junger, mittelloser Schriftsteller aus den USA, reist an diesem Tag mit dem Zug das erste Mal nach Berlin, um dort endlich Inspiration für seinen zweiten Roman zu finden, landet aber stattdessen schnell in den Armen der Engländerin Sally, ein Feuerwerkskörper von einer Frau, die mit der klassischen Schulmädchennummer im Kit Kat Club ihr Geld verdient:
„Mama glaubt, dass ich im Internat bin. Mama hat ja keinen blassen Schimmer, dass ich hier im Cabaret bin. […] Mama glaubt ich bin der Schule und denkt eine Lehrkraft ist die ganze Zeit in meiner Nähe.“
Der Übergang vom Theaterbesuch an einem kalten Herbstabend im Oldenburger Staatstheater hin zu dem schummrigen, plüschig roten Licht des Kit Kat Clubs gelingt fließend: Beim Einnehmen der Plätze singt der Concierge des Clubs bereits am Klavier, die vorderen Plätze schmiegen sich an kleinen Bistrotischen um die Vorderbühne, die in den Zuschauerraum hineinragt. Glitzernde Kostüme und glamouröse Kulissen lenken alle Blicke auf sich und verkörpern Berlin als sorgenfreien Schmelztiegel der Kulturen – zwischen Freigeistigkeit, Fantasie und Lebenshunger lässt sich in der Metropole kaum eine Spur von potentiell gefährlichen politischen Umbrüchen erahnen.
Mit der Hilfe seines neuen Bekannten aus dem Zug, Ernst Ludwig, findet Cliff ein Zimmer in der Pension von Fräulein Schneider – seine Nachbarin hat stündlich wechselnden Besuch von ihrem „Steuerberater“, ihrem „Physiotherapeuten“ und weiteren respektablen Herren und trocknet ihre voluminösen BHs auf dem Balkon, sehr zum Ärger Frau Schneiders – in das bald auch Sally einzieht. Frau Schneiders Strenge mildert sich nur, wenn der jüdische Obstverkäufer Herr Schultz vorbeikommt, um ihr den Hof zu machen…mit Äpfeln, Birnen und irgendwann einer Ananas. Diese Geste, ein Anhalten um ihre Hand ist dann kaum noch nötig, macht „aus dem Erdgeschoss ein Märchenschloss“ und „das Grau in Grau wird auf einmal blau“.
Bei der Verlobungsfeier kommen alle zusammen: die Tänzer:innen aus dem Kit Kat, Cliff und Sally, Ernst und seine dubiosen Freunde. Doch als sie erfahren, wer hier Frau Schneider heiraten will – ein jüdischer Geschäftsmann – kippt die Stimmung merklich und das Oldenburger Publikum wird auf manisch-beängstigende Weise, inklusive Gänsehaut und Sprachlosigkeit, durch Ernst Ludwig und seine Gefolgschaft daran erinnert, dass, wie Fräulein Schneider es später nennt, „diese neuen Rechten plötzlich unsere Nachbarn und Freunde sind.“ Und zack! hat uns das Musical-Ensemble des Staatstheaters vor Augen geführt, wie wir uns einlullen lassen, von Glitzer, Sex und seichten Nummern, die uns die Realität vergessen lassen bis es zu spät ist! Fräulein Schneider entscheidet sich gegen die Heirat, Sally entschließt sich zu einer Abtreibung von Cliffs Baby, weil sie nicht mit ihm nach Amerika fliehen will, obwohl er der einzige ist, der erkennt:
„Wenn du nicht dagegen bist, dann bist du dafür.“
Dieser Satz hallt in unseren Köpfen nach, als wir zurück in den Bus über Elsfleth nach Brake steigen.
„Cabaret“ rekonstruiert und mahnt auch vor der heutigen Realität: In einer Welt geprägt von grellen Lichtern und farbenfrohem Trubel als Einladung, sich blenden zu lassen oder die Augen vor der Brutalität und Tragweite des sozialen und politischen Wandels zu verschließen, gilt es besonders wachsam zu bleiben und sich nicht in Eskapismus und Ignoranz zu verlieren. Denn am Ende bröckelt die noch so perfekt wirkende Fassade des Kit Kat Clubs, unter der nur noch ein beklemmender Schauplatz des Rechtsextremismus übrig bleibt.
Artikelnachweis: Frau Schönberger & Amela